Work-Life-Balance – ein Begriff, der individuell gefüllt werden muss

Wir leben immer schneller, scheint es und unbesetzte Flecken im Terminkalender werden immer seltener. Mancher Zeitgenosse lebt und arbeitet in einer Geschwindigkeit, als wolle er sich selbst überholen. Das betrifft Frauen genauso wie Männer und oft findet man sich dann beim Arzt wieder, mit den Worten: „Ich kann nicht mehr.“ Oder der Körper reagiert mit allen möglichen Symptomen. Das sogenannte Burn-Out-Syndrom ist dabei noch häufiger auf der Überholspur vertreten, als wir selbst. Und das, wo man doch so klug mit seiner Zeit umgeht. Wenn das Zeitmanagement funktioniert und wir es geschafft haben , fast jede Sekunde unseres Tages effektiv zu verwalten, dann muss doch alles gut sein – oder nicht? Doch sowohl bei der Arbeit, wie im Privatleben fühlt man sich angespannt, ist unzufrieden, reizbar – so dass oft noch weitere Belastungsmomente hinzukommen. Ist die maximale Selbstverwaltung eine Sackgasse? Macht uns die Arbeit krank? Wo ist das erfüllte Privatleben?

Unerklärliche körperliche Missempfindungen, psycho-vegetative Störungen – Schlafstörungen, Magen- und Kopfschmerzen, Verspannungen und anderes führen zu vollen Arztpraxen und viele versuchen, mit der einen oder anderen Tablette das wieder herzustellen, oder zu vermindern, was sich hinter vielen schillernden Begriffen verbirgt. Manchmal hilft es schon, begrifflich zu reduzieren und eine schlichte Antwort auf die Frage, was man sich wünscht, zu formulieren. Ausgeglichenheit und innere Balance sind nur zwei solcher Begriffe – jeder wird da eigene Worte finden. Und schon dahinter verbirgt sich eine Ursache vieler Missempfindungen. Ganz abgesehen davon, dass wir oft vergessen haben, bei der Arbeit und auch im Privatleben Leistungslust und Leistungsgrenzen zu erkennen und dem instinktiv nachzugehen. Kein Tier wird 1000 m rennen, wenn ihm der Körper gerade signalisiert, dass lang ausgetrecktes Liegen viel angebrachter ist. Und ein Tier lässt sich auch nicht unbedingt sagen, dass es jetzt rennen und später liegen soll. Höchstleistungen bringt es dann jedenfalls nicht.

Unser hochsensibles System Körper reagiert auf alles, was seine Regelkreise stört. Das eine Mal lauter und das andere Mal leiser – die Wind- und Fahrgeräusche auf der Überholspur sind aber oft so laut, dass wir das nicht bemerken. Die Aufforderung, den nächsten Parkplatz anzufahren, kommt meist von außen. Und kaum, dass man eine Parklücke gefunden hat, lesen wir schon die Schilder, die uns vermitteln, wie es uns besser gehen könnte: Den Körper ertüchtigen, uns ‚mal gehen lassen, die innere Mitte finden … – und während man versucht, sich zu orientieren, sieht man auch schon den bunten Kiosk einige Meter weiter. Der uns verschiedene Bestseller anbietet, die uns erklären, wie man Arbeit und Privatleben/sein Leben ausbalanciert. Sicher enthalten diese Bücher viele gute Anregungen. Und das ist oft genau das, was wir gerade nicht brauchen. Wie wäre es, selbstbestimmt herauszufinden, was gut tut und was nicht. Und nicht fremdbestimmt etwas abzuarbeiten.

Wer seit Jahren dem folgt, was von außen – und das ist bei der Arbeit und im Privatleben oft ähnlich – an ihn herangetragen wird, nimmt das kaum noch wahr. Und noch weniger ganz eigene Bedürfnisse: Selbst der Magen knurrt dann, wenn andere Mägen auch knurren und kleine Müdigkeitsphasen werden ignoriert. Dafür bekommt der Körper nach Feierabend noch eine hohe Dosis Fitnessstudio: Bewegung fremdbestimmt – denn wer fragt sich den schon, ob diese oder jene Übung gut tut? Auch Bewegung und Sport wirken nur mit der entsprechenden Ruhe und Konzentration. Dazu gehört auch Entspannung hinterher. Wenn man bedenkt, dass sich ein Muskel nur aufbauen lässt, nur wächst, wenn er sich zwischen den Übungsphasen entspannen kann und auch hinterher Ruhe hat – ja es sogar übel nimmt, wenn man ihm am nächsten Tag das gleiche Training anbietet, dann wird ein wenig deutlich, was wir unserem unglaublich komplexen System Körper und Seele täglich zumuten – gleichgültig, ob bei der Arbeit, oder im Privatleben. Sport, Bewegung insgesamt ist übrigens ein guter Weg, um seinen Körper wieder zu erfühlen: In einem gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist, sagten die alten Römer und müssen damit auch so etwas gemeint haben, wie Work-Life-Balance. Selbstbestimmt sich selbst wieder näher zu kommen, ist durch Sport gut möglich. Und am besten funktioniert das, wenn man beim Spört für sich alleine ist. So, dass man nicht das Gefühl bekommt, wieder auf die Überholspur gehen zu müssen. Wer seine innere Balance finden möchte, sollte dafür keine Termine machen. Auf der Überholspur findet man sie gar nicht. Und die Ratgeberflut ist am hilfreichsten, wenn man sie ganz entspannt in die Hand nimmt, zufrieden in die Sonne blinzelt und sich sagt: „Klingt interessant. Aber das lese ich morgen. Vielleicht.

Mittwoch, 15. Februar, 2012